«Der häufigste Kündigungsgrund? Wenn man seine Rolle nicht ausleben kann.»

03.09.23

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Das fleissige Bienchen, die Beobachterin, das Alphatier: Wie findet man im Job seine Rolle im Team? Karriereberaterin Karin Ohmann* über Trial and Error, Erwartungen von aussen und weshalb wir alle besser auf uns hören sollten.


Redaktion/Interview: etextera, Agentur für Text und Design

Frau Ohmann, wer einen neuen Job anfängt, bemerkt oft, dass im Team bestimmte Rollen bereits vergeben sind: Da gibt es den Fleissigen, die Kreative, die Erfahrene und viele mehr. Wie schafft man es, ganz frei seine eigene Rolle zu finden?
Der Kern von allen Dingen ist, sich selbst gut zu kennen! Zu wissen, welche Rolle man spielt, sich im Klaren zu sein, was man gut kann – und vor allem: was man gerne tut. 

Definieren Sie doch bitte kurz den Unterschied zwischen Aufgabenbereich und Rolle.
Tatsächlich sind das zwei völlig unterschiedliche Dinge. Eingestellt werden Arbeitnehmende meist wegen ihrer fachlichen Fähigkeiten, die sie dann in einem bestimmten Aufgabenbereich unter Beweis stellen. Die Rolle, die sie dabei übernehmen – etwa das fleissige Bienchen, das Alphatier oder die Beobachterin – entspricht wiederum der jeweiligen Persönlichkeit. Übrigens ist das auch der häufigste Grund, weshalb Menschen kündigen: Weil sie ihre Rolle im Job nicht so ausleben können, wie sie wollen. 

Wie finde ich denn heraus, was meine Rolle ist?
Der harte Weg führt über Trial and Error. Alternativ können Sie versuchen, Rückschlüsse aus Vergangenem zu ziehen. Wer es gewohnt ist, auf sich zu hören, erkennt seine Rolle leichter. Oft sind es allerdings auch Erwartungen von aussen, die uns den Blick auf unsere Rolle – also auf unsere Persönlichkeit – verstellen. 

Brauche ich Aufmerksamkeit? Oder bin ich lieber das Rückgrat eines Teams?


An welche Rückschlüsse aus der Vergangenheit denken Sie konkret?

Sie sollten sich zum Beispiel fragen: Warum habe ich mich in der letzten Position nicht wohlgefühlt? Oder: Wie passe ich mich an Situationen an? Denke ich zuerst und handle dann? Oder verhält es sich umgekehrt? Aber auch: Was ist meine intrinsische Rolle? Brauche ich Aufmerksamkeit? Oder bin ich lieber das Rückgrat eines Teams? All diese Dinge haben nichts mit unseren fachlichen Fähigkeiten zu tun – aber sie haben einen grossen Einfluss auf uns. 

Welche Rolle spielen Vorgesetzte dabei?
Eine grosse – wenn sie nicht nur auf Fachkenntnisse schauen, sondern ein gutes Gespür für Menschen haben und erkennen, wo die Stärken der Einzelnen liegen. Ich vergleiche die Jobsuche gerne mit der Partnersuche: Das Vorstellungsgespräch ist wie ein erstes Date, hier merke ich als Arbeitnehmerin bereits, ob ich ein gutes Bauchgefühl habe, ob die Chemie stimmt. 

Die Führungskraft bestimmt also massgeblich, welche Rolle ich spielen darf?
Nein, ich plädiere immer dafür, dies selbst in die Hand zu nehmen! In der Realität lautet die Frage natürlich: Was lasse ich zu, bzw. wie kompromissbereit bin ich, wenn die Chemie zwischen mir und der Vorgesetzten nicht stimmt? In einem grossen Unternehmen, in dem Führungskräfte alle paar Jahre wechseln, bin ich womöglich kompromissbereiter und halte durch. Handelt es sich aber um eine inhabergeführte Firma, ist es vielleicht besser, schneller eine Entscheidung zu treffen und sich zu trennen.

Die Rolle des ewigen Praktikanten 


Gerade Jüngeren passiert es oft, dass sie in der Rolle des ewigen Praktikanten hängen bleiben. Wie kommt man da wieder raus?

Ist das so? Die Frage lautet für mich: An wem liegt das? Vielleicht bin ich ja selbst der Grund! «Step up!», würde ich raten, «Mach was draus!». Für sein Leben ist jede und jeder selbst verantwortlich! Befinde ich mich also in der Rolle der ewigen Praktikantin, liegt das vielleicht nicht nur an den anderen. 

Finden Sie es wichtig, in einem Team die Rollen auch mal zu wechseln?
Nur begrenzt. Dass bestimmte Personen bei Projekten nicht immer nur die Haupt-, sondern auch mal die Nebenrolle einnehmen und umgekehrt, ist natürlich zu begrüssen. Auch Wachstum und Weiterentwicklung innerhalb seiner eigenen Rolle ist wichtig. Setzt man «Rolle» jedoch gleich mit «Persönlichkeit», ist ein kompletter Wechsel im Team nicht zu empfehlen. 

Angenommen, meine Rolle ist im Team, zu dem ich neu dazukomme, bereits vergeben. Was mache ich?
Entweder kommen Sie relativ schnell zu der Erkenntnis «Ich passe nicht ins Team» und suchen sich einen neuen Job. Oder der Aufgabenbereich ist so gross, dass sich Rollen auf mehrere Köpfe verteilen lassen, etwa in Projektarbeiten. Wichtig ist aus meiner Sicht, sich nicht verbiegen zu lassen! Seien Sie nur so weit kompromissbereit, wie es Ihnen guttut! Nur dann werden Sie langfristig glücklich im Job. Oft verfügen jedoch gerade Jüngere nicht über das Selbstverständnis, für sich und ihre Bedürfnisse einzustehen – während Älteren hier ein bisschen mehr Flexibilität guttun würde.

 

Zur Person
*Karin Ohmann ist Beraterin und Coach rund um das Thema «Talente und Karriere».

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